MOUNT ANALOGUE
De La Fuente Oscar De Franco
30.9 - 29.10.2016
Kuratiert von Irene Grillo
De La Fuente Oscar De Franco (DLFODF) arbeitet mit ephemeren, digitalen und dezidiert queeren Strategien an Versuchsanordnungen, die komplexe Verweissysteme mit Fragen zu Natur, Philosophie, Kultur, Glaubenssystemen und Wissenschaft eröffnen. Seine künstlerische Praxis zeichnet sich durch eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konstruktionen und individueller Reformulierung aus, die sich spielerisch auf einer ästhetisch-ideellen Gratwanderung an der Schnittstelle von Realität und Spekulation bewegt. Für die Realisierung seiner auf aufwändigen Recherchen basierten Arbeiten ist DLFODF oft auf das Wissen und die Fachkompetenzen von Forschern und Wissenschaftlern angewiesen.
Ausgangspunkt der Abschlussausstellung «Mount Analogue» ist die konkrete Notwendigkeit des Künstlers, seinen künstlerischen Arbeitsprozess von jeglichen Abhängigkeitsverhältnissen zu lösen und neue Produktions- und Herangehensweisen auszuprobieren. Ähnlich wie die Protagonisten des Romans Le Mont Analogue des französischen Schriftstellers Réne Daumal – auf dem der Titel der Ausstellung direkt Bezug nimmt – führte DLFODF im Vorfeld seiner Schau eine detaillierte Suche in die eigene Innerlichkeit durch, wobei damit hier das Reservoir an inneren Bildern, Vorstellungen und nicht zuletzt an vorhandenen Medien gemeint ist. Die neuen Arbeiten, welche ortspezifisch für die Ausstellung produziert wurden, sind aus analogem Material entstanden, das der Künstler über die Jahre in seinem Atelier sammelte. Dazu verwendete er Strategien und Methoden der Aufzeichnung, Speicherung, Verarbeitung, Distribution, des Transfers und der Darstellung von digitalen Informationen.
DLFODF liess die Böden der Ausstellungsräume professionell reinigen. Die Spuren der vergangenen Schauen und der alltäglichen Nutzung hat der Künstler so gut wie möglich wegwischen lassen und somit die Räume der BINZ39 einem Art „Reset“ oder „Neustart“ unterzogen. Diese vorgenommene Aktion ist ein kritischer Beitrag des Künstlers zu den Aufwertungsprozessen des gesamten Areals um das Sihlquai 133 herum, welche 2014 kurz nach dem Umzug der Zürcher Hochschule der Künste begonnen haben und immer noch im Gange sind. Sie ist aber auch eine persönliche Schenkung und Danksagung des Künstlers an der Stiftung.
Die abgewischten Spuren wurden vom Künstler absichtlich aufbewahrt: Das für die Reinigung verwendete Wasser wurde gesammelt und in einen Glasbehälter abgefüllt. Eine im Sockel eingebaute Lichtquelle beleuchtet nun das durchsichtige Gefäss und lässt dessen flüssiges Gehalt transluzent und nahezu sakral wirken. Die bereinigten Spuren tauchen hier in veränderter Form wieder auf, können aber als solche nicht mehr wahrgenommen werden. Auch Ihre früheren Verweise sind nicht mehr nachvollziehbar. Stattdessen werden durch die symbolisch beladene Präsentationsform des schmutzigen Wassers, neue Denkweisen und Reflektionsmöglichkeiten in Bezug auf Zeit und Transformation im Allgemeinen und Kunstproduktion und Kunstförderung im Besonderem eröffnet.
Seit über 2 Jahren sammelt DLFODF ununterbrochen Quittungen: Für jede Geldtransaktion, die er durchführt verlangt der Künstler einen Beleg. Für die Ausstellung «Mount Analogue» hat er einen Teil des aufbewahrten Materials sortiert und daraus eine neue prozessbasierte Arbeit geschaffen. DLFODF hat dafür den Zeitraum von August 2015 bis August 2016, d.h. das zweite Jahr seines Stipendiums in der BINZ39, unter die Lupe genommen. Er hat insbesondere alle seine Ausgaben für die Besorgung von Lebensmitteln und Getränke, d.h. für die Erfüllung existentieller Bedürfnisse berücksichtig.
Die Quittungen wurden jeweils mit der bedruckten Seite an haute couture Stoffe (Chiffon) angebracht. Mitthilfe einer chemischen Lösung, transferierte DLFODF die Inhalte auf das feine, Gewebe, welches somit in einen realen Datensatz umfunktioniert wurde. Durch die manuelle Übertragung gingen viele Informationen verloren, sodass der Zugriff auf das ursprüngliche Material, für die Betrachtenden verwehrt bleibt. Die Besucherinnen und Besucher werden dadurch mit einem grundsätzlichen Widerspruch zwischen Träger – das Französische Wort “Chiffon” stammt etymologisch aus dem arabischen für “schiff”: durchsichtiger Stoff – und abstraktem Inhalt konfrontiert.
DLFODF hat die Chiffonbahnen im ersten Ausstellungsraum auf vorhandene architektonische Elemente und auf Fenstergitter drapiert. Während die Stoffbahnen in Form und Dimension einen direkten Bezug zum menschlichen Körper aufweisen, thematisieren die an den Wänden befestigten, metallischen Sperrgegenstände eine weitere Komponente: Fenstergitter sind gewöhnlich Sicherheitsmassnahmen zum Schutz des Privateigentums und stellen als solche eine klare Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem dar. Indem DLFODF gerade diese Objekte als “Büsten” für seine Drapierungen auswählt, wirft er Fragen nach dem eigentlichen Eigentum am menschlichen Körper in der heutigen, durchdigitalisierten, durchkontrollierten und durchgestalteten Gesellschaft auf.
De La Fuente Oscar De Franco (*1990 in Rom, lebt und arbeitet auf der ganzen Welt) studierte grafische Programmiersprachen, experimentelle Musik und die Tanzform Voguing bei Harvestworks (Non-Profit Organisation für digitale Kunst, NY) und digitale/bildende Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste. Am California College of the Arts in San Francisco eignete er sich Kenntnisse im Bereich der Holographie und Grossformatfotografie an. Ausserdem war DLFODF Gaststudent bei Thomas Zipp an der Universität der Künste in Berlin. DLFODF hatte Einzelausstellungen u.a. im Helmhaus Zürich (2015), im Kunstmuseum Bern (2012) und in der Galerie Gregor Staiger, Zürich (2011). (Text: Irene Grillo)